Der Autojahrgang 1970 – eingebettet in das Weltgeschehen
Was war alles los im Jahr 1970? In Deutschland beginnt der langsame Weg der Entspannung zwischen den beiden deutschen Staaten: Bundeskanzler Willy Brandt trifft sich mit Ministerpräsident Willy Stoph – und umgekehrt. Erst begegnen sich die beiden Willys in Erfurt, kurze Zeit später dann in Kassel. Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin befreien Andreas Baader aus einem Berliner Gefängnis. Die Beatles trennen sich offiziell und veröffentlichen danach ein Album, das gar nicht erscheinen hätte sollen: „Let It Be“. In der Hitparade ist ein Lied besonders erfolgreich, das damals schon 184 Jahre alt war: Beethovens „Ode an die Freude“, gesungen vom Spanier Miguel Rios. Bei der Fußball-WM in Mexiko wird Pelé mit der brasilianischen Elf zum dritten Mal Weltmeister, die bundesdeutsche Elf wird im kleinen Finale gegen Uruguay Dritter. Legendär sind der Viertelfinalsieg gegen England (3:2) und die dramatische 3:4 Halbfinalniederlage gegen Italien – beides nach Verlängerung. Torschützenkönig wird in Mexiko der „Bomber der Nation“: Gerd Müller trifft zehn Mal. Aber von welcher Nation ist da die Rede? Müller ist auf jeden Fall auch in der DDR ein Held.
Beide deutsche Staaten treten 1970 selbstbewusster auf. So führt die DDR ihr eigenes Warenzeichen „Made in GDR“ ein. Der Autojahrgang ist indes nur teilweise geprägt von frischem Wind – für den steht etwa der Versuchsträger C111 von Mercedes. Der orangefarbene Traum vieler Jungs ist zwar schon im Jahr 1969 im Einsatz, aber im Jahr darauf wird die zweite Version des Wankel-Renners zum Star auf Postern, in Quartetten oder bei Modellautos. Und sonst? Neben den in diesem Text vorgestellten Neuheiten dominieren anno 1970 Autos, die sich eigentlich längst überlebt haben: Käfer, Trabant, Mini, 2CV, 500 Nuova…
Bei Citroën lenkt das Licht mit
Citroëns „Göttin“, die DS, wird im Oktober 1970 bereits 15 Jahre alt und sieht immer noch recht futuristisch aus. Trotzdem wird sie weiterentwickelt. So profitiert sie von einer Technik, die für das neue Luxusmodell SM gedacht ist: In den besseren Ausführungen bekommt sie ebenfalls das mitlenkende Licht spendiert – und plötzlich werden die Kurven ausgeleuchtet. Zwar experimentiert Tucker bereits in den 1940er Jahren mit einer solchen Technologie, aber erst die Franzosen führen die Innovation ein. Schuld ist letztendlich der SM. Ob das Namenskürzel wirklich für „Série Maserati“ steht, ist bis heute nicht geklärt. Sicher ist aber, dass das knapp fünf Meter lange Oberklassefahrzeug mit den markanten sechs Scheinwerfern das Ergebnis einer besonderen Verbindung ist: Denn Citroën übernimmt erst den italienischen Sportwagenhersteller und sich im Nachgang selbst: Der SM wird immerhin von einem auf 170 bis 180 PS gedrosselten Maserati-Motor angetrieben, doch der macht ziemlich viele Probleme. So kommen viele Werkstätten nicht mit dem kapriziösen Aggregat und der Konzern nicht mit Maserati zurecht.
Sportwagencoupés und brave Schönlinge
Bei Alfa Romeo können sie Sportlichkeit seit jeher – und seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs schaffen es die Italiener sogar, Familienfahrzeuge und erschwingliche Coupés und Cabrios mit ihrem Sportsgeist zu veredeln. Der von Bertone-Mann Marcello Gandini in den Grundzügen bereits 1967 wunderschön designte Montreal soll aber wieder betuchtere Kreise erobern – und sich gegen Ferrari Dino oder den 911er von Porsche positionieren. Besonders schön sind die von Lamellen teilweise verdeckten Scheinwerfer, die die Front des flachen Wagens betonen.
Betörend ist auch der Motor des Montreal: 200 PS schöpft der „kleine“ Achtzylinder aus 2,6 Litern Hubraum. Vier obenliegende Nockenwellen und die vom Rennsport stammende Saugrohreinspritzung sorgen für Klang und Vortrieb – aber auch für sorgenvolle Gesichter bei den Besitzern. Insgesamt werden daher in fünf Jahren nur knapp 4.000 Montreal gebaut. Anders macht man es in Ingolstadt: Mit dem Audi 100 nähert sich die eben erst wiederbelebte Marke der oberen Mittelklasse. Das schicke Audi 100 Coupé wird von Hartmut Warkuß auf Basis der Limousine gestaltet – sogar der Radstand bleibt gleich. Die daher ziemlich langgestreckte Silhouette ist trotzdem wohlgeraten, und die Serientechnik mit dem 112 beziehungsweise 115 PS starkem Motor gibt sich robust. Im Gegensatz zum Montreal ist das Audi 100 Coupé S jedoch auch kein echter Sportwagen, macht aber anno 1970 auf der Autobahn eine gute Figur – es ist über 180 Km/h schnell.
Nachfolger für Trabant und Wartburg
Die innovativen Auto-Ingenieure und Designer bei Sachsenring oder dem VEB Automobilwerk Eisenach arbeiten permanent an neuen Fahrzeugentwicklungen. Denn Trabant und auch Wartburg sind in die Jahrzehnte gekommen. Speziell die Zweitaktmotoren, die auf die DKW-Vorkriegsmodelle F1 bis F8 zurückgehen, sollen dringend ersetzt werden. Die meisten Ideen sind tatsächlich auf „Weltniveau“, werden aber von der Politik jedes Mal gestoppt. Dass der Trabant 601 noch in den 1970er Jahren durchaus erfolgreich als Rallye-Pappe unterwegs ist, spielt bei diesen Entscheidungen aber wohl kaum eine Rolle. Statt die heimische Autoindustrie fortzuentwickeln, setzt die SED ab 1970 kurze Zeit auf eine Kooperation mit der ČSSR: Ziel ist es, die Kosten für Entwicklung und Produktion zu halbieren – und ein Fahrzeug zu bauen, das sich weltweit verkaufen lässt. 1973 stoppt man, vermutlich wegen Querelen zwischen den Regierenden in Ostberlin und Prag, das Vorhaben. Wie das intern RGW 760 genannte Auto, das eine Zeit lang immerhin Trabant 601, Wartburg 353 und Škoda 100 ablösen sollte, ausgesehen haben könnte? Das kann man heute im Škoda Museum in Mladá Boleslav nachvollziehen…
Ottonormalfahrer stehen auf Opel
Auch 1970 dominiert der VW Käfer die Zulassungsstatistik, aber die Konkurrenz, speziell von Opel, schläft nicht. Seit 1962 rückt der in Bochum gebaute Kadett dem Käfer auch bei den Verkäufen auf die Pelle. Und gegen den großen „Bürgermeister“ Rekord hat Wolfsburg nichts im Sortiment. Das ändert sich erst im Verlauf der 1970er Jahre – auch dank Audi. Denn die Übernahme der Marke sorgt für neue Entwicklungen wie den Audi 100, den Audi 80 oder den Audi 50. Letzter ist praktisch baugleich mit dem Ur- Polo. Der erste ernsthafte Gegner für den Rekord hätte der kantige K70 sein können: zuverlässig ist er, Platz hat er und auf einen Boxer verzichtet er. Aber er ist eine Entwicklung von NSU und bleibt ein Stiefkind innerhalb des VW-Konzerns. Während man nun in Wolfsburg an Golf und Co. arbeitet, erweitert Opel seine Palette geschickt: Mit dem praktischen Ascona und seinem hübsch-sportiven Ableger Manta lanciert man Modelle, die genau zwischen Kadett und Rekord angesiedelt sind. Für Ascona/Manta lässt sich die Technik beider Modellreihen nutzen und Opel kann eine Vielfalt an bewährten Motoren anbieten. Mit Erfolg: Im Jahr 1972 wird Opel mit einem Marktanteil 20,4 Prozent noch vor Volkswagen liegen.
Britischer SUV-Vorreiter: Der Range Rover
Die Amerikaner sind die eigentlichen Erfinder der Gattung „SUV“, denn spätestens mit dem Wagoneer, den Jeep ab 1962 anbietet, wird die Verbindung von komfortabler Alltagstauglichkeit und Geländefähigkeit erfolgreich vermarktet: Aus dem Wagoneer wird später die Cherokee-Baureihe – und das sind eindeutig bis heute dicke „Ami-SUVs“. In Europa wird ein anderes Fahrzeug, das wie der Wagoneer ebenfalls kernigere Geschwister hat, zum Urmodell und Vorbild: Der Range Rover. Offiziell vorgestellt wird der Luxusallrader am 17. Juni 1970. Er verfügt über permanenten Allradantrieb, Schraubenfederung und einen vom Rover P5 übernommenen V8-Motor mit zunächst 3,5 Litern Hubraum und einer Leistung von 130 PS. Die vierte Generation des immer noch „klassisch“ nach Range Rover aussehenden SUV ist seit 2012 auf dem Markt. Für Besitzer eines Range Rovers interessant: Bei Kupplung.de gibt es für alle Baureihen ab 1970 mindestens eine passende Anhängerkupplung.
Bildnachweise
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